Ein- und dasselbe Erscheinungsbild, das wir heute so griffig mit »ADHS« oder eben dem »Zappelphilipp-Syndrom« verbinden, ist allerdings schon sehr, sehr lange bekannt.
Anders gesagt hat der Symptomcluster rund um die
- auffällige Zappeligkeit,
- kurze Aufmerksamkeitsspanne,
- heftige Ungeduld,
- chaotische Planlosigkeit,
- permanente Zerstreutheit
und all die vielen anderen Einzelsymptome, die in unser Bild von ADHS hineingehören, in unserer Menschheitsgeschichte eigentlich schon immer existiert. Paläoanthropologen (Teilbereich der Humanbiologie, der sich mit der frühen Entwicklung des Menschen befasst) sagen, dass es schon im »Neandertal und Co.« immer hyperaktive Menschen und überhaupt solche mit dieser »Symptomen-Sammlung« (Cluster) gegeben haben muss, sonst hätten wohl die kleinen Gruppen (Rotten, Rudel) in denen wir als frühe Zweibeiner organisiert waren, in der offenen Savanne mit all ihren ständigen Gefahren nicht überlebt.
Sie wissen ja: Kurze Aufmerksamkeitsspanne heißt keineswegs unaufmerksam zu sein! Ganz im Gegenteil: Nahezu alle ADHS–betroffenen Menschen sind viel sensibler und »hellhöriger« und nehmen deshalb jeden möglichen Sinnesreiz viel intensiver und durch ihre ohnehin permanent vorhandene Anspannung vor allem auch reaktionsschneller wahr: Ein bei ADHS-Spezialisten oft verwendeter und sehr trefflicher Oberbegriff für das ADHS-relevante Erscheinungsbild lautet: »Reiz-Offenheit«, zuweilen auch »Sinnes-Offenheit«.
Zwei sehr klare und eindeutige Begriffe, die eigentlich schon ziemlich viel vorwegnehmen, was man über ADHS wissen muss oder will! Finden Sie nicht?
Jeweils ein bis zwei solche Reiz-offene Menschen muss es, so sagen die Forscher, in jeder Gruppe (zwischen 20 und 25 Individuen) wohl gegeben haben. Ein für uns wichtiger Fakt, wenn wir uns später mit der gefährlichen ADHS–Epidemie beschäftigen, oder auch der Frage zuwenden, ob nun »Modediagnose» oder nicht.
Eigentlich ein guter Grund für eine zutiefst positive Sichtweise auf ein ohnehin allenthalben als negativ beschriebenes »Störungsbild«:
ADHS- Betroffene haben also ganz offensichtlich durch ihre überdurchschnittlich erhöhte Sinneswahrnehmung die Menschheit gerettet, weil sie so manche Gefahr als erste wahrgenommen, gehört, gefühlt oder gesehen haben.
Glück gehabt, dass es solche Mit- Menschen, wie ADHS Betroffene überhaupt gibt oder, anders gesagt, eben offenbar immer gegeben hat.
ADHS ist also, davon dürfen wir nun ausgehen, so alt wie die Menschheit. Das lässt doch, wie schon zuvor angedeutet, einen entspannteren Blickwinkel auf ein standardmäßig als „Defizit“ bezeichnetes Erscheinungsbild zu, finden Sie nicht?
Vielleicht kommt aber der oftmals zu negative Stellenwert des Symptomclusters eben auch von diversen älteren Bezeichnungen, die KONZENTRUM der Vollständigkeit halber nachfolgend vorstellen möchte:
»Minimale Cerebrale Dysfunktion« (MCD) ist die älteste Fach-Bezeichnung für ADHS.
»Psychoorganisches Syndrom« (POS) ist ein wenig jünger.
»Hyperkinetisches Syndrom« (HKS) ist die als letzte entstandene Bezeichnung in Europa sehr verbreitet und sogar noch in speziellem Kontext in Verwendung (besondere Zusatzkriterien müssen zutreffen, damit man auch heute noch von einem »HKS« sprechen kann).
Diese Ausdrücke würden Kinder heutzutage allerdings wohl noch intensiver zu »Kranken« stempeln, treffen aber andererseits den »Punkt« in ihren Kernaussagen sogar besser als der moderne Begriff ADHS:
- schließlich ist es tatsächlich eine »minimale« Fehl- oder eben »Dys«-Funktion im Gehirn
- schließlich betrifft es eben genau das Cerebrum (genauso genommen den striatofrontalen Cortex), einen kleinen »Bezirk« des Stirnhirns
- schließlich hat all das eigentlich nur mit der »Psyche zu tun«
- und schließlich auch mit den Organen
- schließlich ist so ein ADHS-betroffener Mensch zumeist sehr hyper ( griechisches Präfix für: »übermäßig«) - kinetisch ( ebenfalls aus dem Griechischen. »Kinesis« für: »Bewegung« oder »auf Bewegung bezogen«
Phonetisch ansprechend klingen sie ja nicht, diese »Fachchinesischen« Hyper-Begriffe, vor allem, wenn man Kinder und Jugendliche damit vielleicht sogar ansprechen oder eben »bezeichnen« möchte. Aber wie schon beschrieben: Zumeist ohnehin »Schnee von gestern«.