Welche Medikamente gibt es?

Methylphenidat und Co.

Die Wirksubstanz Methylphindat gilt als das derzeit »am besten erforschte Medikament« im Bereich der Kinderheilkunde. Ein Problem tritt aber in dieser Aussage nicht zutage: Die Langzeitfolgen sind noch nicht zur Gänze erforscht und die Nebenwirkungen sehr umstritten. So könne Methylphenidat bei falscher Dosierung Angstzustände oder Appetitlosigkeit auslösen. Auch zeigten Studien, dass das Medikament Auswirkungen auf das Wachstum der Kinder haben kann. Psycho-Stimulanzien fallen überdies unter die Regelungen für Betäubungsmittelrezepte, weil alle Stimulanzien natürlich das Potential haben, bei Missbrauch (hoher Dosierung etwa) abhängig zu machen, obwohl auch dieser Fakt bei der Anwendung von Methylphenidat bisher nicht einwandfrei belegt worden ist.

Methylphenidat, Dexamphetamin und verwandte Stoffe sind genau genommen starke »Aufputschmittel«, also eben Amphetamine, die jedoch paradoxerweise, bei der vorherrschenden Impulskontrollstörung des ADHS-Betroffenen stabilisierend und beruhigend wirken können.

Methylphenidat ist, wie schon erwähnt, kein Beruhigungsmittel, sondern ein Medikament, das die Gehirnaktivität steigert und direkt auf das dopaminerge System des menschlichen Gehirns einwirkt. Das Präparat blockiert jeweils für Sekundenbruchteile einige der »Staubsauger« auf den Nervenzellen, die Dopamintransporter, so dass der Signalüberträger Dopamin nicht gleich wieder zwischen den Zellen abgesaugt wird, sondern länger wirken kann. Die Folge ist eine Erhöhung der Konzentrationsfähigkeit und eine Minderung des körperlichen Getriebenseins. Das Kind ist ansprechbarer. Die Wirkung hält etwa vier bis sechs Stunden an.

Wahrscheinlich bewirkt Methylphenidat keine neuronale Nachreifung, heilt also, wie schon erwähnt nicht. Es hilft also nur wie eine Brille — wenn man sie absetzt, sieht man wieder unscharf. Allerdings kann der Wirkstoff die Basis legen, damit ein Kind überhaupt auf Therapien und Lerntrainings anspricht. Durch Medikamente allein lernen die Kinder nichts hinzu, doch Medikamente verbessern die Lernmöglichkeiten des Kindes. Die Regeln der Rechtschreibung wird ein Kind so nicht besser beherrschen, aber vielleicht wird es die Regeln besser lernen können.

Methylphenidat (wie auch andere Wirkstoffe) sollte nur von einem Kinder- und Jugendpsychiater oder einem entsprechend qualifizierten Kinderarzt verschrieben werden, um sicher zu stellen, dass es nicht die falschen Kinder bekommen, also diejenigen, die gar keine ADHS haben. Und es darf nicht verschrieben werden an Kinder unter sechs Jahren, da hier die Wirkungsweise noch nicht ausreichend erforscht ist und diagnostische Verfahren für kleinere Kinder noch nicht ausgereift sind. Die individuelle Dosierung, die von Kind zu Kind unterschiedlich ist, muss immer wieder überprüft werden, Auslassversuche sollten gemacht werden, zum Beispiel in den Ferien. Die richtige Handhabung dieses heiklen, weil hoch wirksamen Medikaments erfordert einige Erfahrung.

Psycho-Stimulanzien von ihrer »besten Seite«

Allerdings passiert oft auch schon einiges Positive, wenn ausschließlich Methylphenidat gegeben wird und nicht gleichzeitig eine Verhaltenstherapie stattfindet: Die Konzentration bessert sich, das Kind ist deutlich ruhiger. Die alleinige Gabe kann eine Situation entschärfen, während man auf einen Therapieplatz wartet, doch ideal ist das nicht. Mit Methylphenidat ist zwar die Hyperaktivität deutlich gedämpft, doch das problematische Sozialverhalten, die mangelnde Frustrationstoleranz, etc. bestehen natürlich fort.

Andere Wirkstoffe

Atomoxetin hat nicht denselben Effekt wie die schon beschriebenen Psycho-Stimulanzien. Dieser »Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer« soll sehr gezielt, eben »selektiv« die Wiederaufnahme (Re-Uptake) von Noradrenalin aus dem synaptischen Spalt (jenem Spalt des Signalüberganges zwischen den Nervenzellen und Nervenfasern) hemmen (NARI).

Restriktion

Alle hier genannten und vielleicht weltweit sonst noch verwendeten Psychopharmaka sollten, wie schon erwähnt, nur dann erwogen werden, wenn wirklich ADHS vorliegt und die Entwicklung des Kindes akut gefährdet ist, weil zum Beispiel ein Familienleben offenbar kaum noch möglich ist (psychosoziale Gefährdung), sowie dann, wenn das Kind ohne Medikament überhaupt nicht in der Lage ist, psychotherapeutische und pädagogische Angebote umzusetzen.

Der Berner Kinderpsychiater Wilhelm Felder beschreibt das so: »Lieber ein Kind mit  Methylphenidat in der Regelklasse, als eines ohne in der Sonderschule.« Und: »Lieber eines mit Methylphenidat in der Familie als eines ohne in einem Heim.«

Prinzipiell ist die medikamentöse Behandlung also nur ein möglicher Baustein der Behandlung, über dessen Einsatz die psychosoziale Gefährdung des Kindes entscheidet, nicht alleine das Vorliegen einer ADHS.