Dass Kinder mit ADS oder ADHS oftmals große Schwierigkeiten haben, vor allem in einer Klassengemeinschaft auch Akzeptanz zu finden und sich zu integrieren und vor allem die mit mehr oder weniger ausgeübtem Druck geforderte Leistung zu bringen, setzen wir als hinreichend bekannt voraus. Aber diese als Bezugsperson, vor allem aber als Lehrperson, richtig zu erkennen und dann auch damit entspannt umgehen zu können, das ist eine andere Sache.
Um jedoch entspannt mit diesem erstaunlichen Phänomen umgehen zu können, sollte man wohl den komplexen Symptomcluster wirklich in seiner Gesamtheit begreifen und verstehen lernen. Es ist schon ein großer Schritt!
Vieles verstehen heißt vieles verzeihen!
Curt Goetz
Was die Akzeptanz von ADHS-Kindern vor allem außerhalb der Kernfamilie so erschwert ist, dass Betroffene sehr häufig als uninteressiert, faul (»Du könntest ja mehr, wenn du wolltest!«), zuweilen sogar teilnahmslos oder vielleicht sogar als »retardiert« (verzögert entwickelt) auf ihr Umfeld wirken.
Des Weiteren befinden sich ADHS-betroffene Kinder irgendwie permanent in der Gefahr, in der Schule zu versagen und erhalten fortgesetzt Sanktionen und damit Zurückweisung durch Lehrer bzw. zuweilen auch durch die eigenen Eltern.
Diese Schwierigkeiten senken die Motivation und führen häufig zu selbst gewollter Isolation sowie schlechteren Schulabschlüssen, und damit auch einer Karriere weit unterhalb des Horizontes der eigentlichen Möglichkeiten.
Betroffene Kinder und ihre Angehörigen stehen deswegen meist schon unter erheblichem Druck und neigen dadurch zum Versagen in Schule oder Beruf. Das kann in manchen Fällen so weit führen, dass in der Folge tatsächlich retardierte Entwicklungen und weitere psychische Störungen (Comorbiditäten) zu beobachten sind. Genau hier sollte auch eine korrekte Diagnostik ansetzen, vor allem aber eine verantwortungsvolle Entscheidung über eine Gabe von Psychopharmaka: »Eine Medikation ist dann zulässig«, so heißt es im Arzneimittel-Compendium, »wenn ein massiver Leidensdruck besteht, sowie eine normale und altersadäquate Entwicklung als gefährdet erscheinen.«
Die beschriebenen Folgen bei nicht diagnostizierten Kindern treten dennoch häufig auch nach einer Diagnose auf, da sehr oft die anschließende Betreuung und Kooperation seitens der Behandelnden mit dem Umfeld des Kindes/Betroffenen fehlt. Ein guter und überaus wichtiger Ansatzpunkt für die bei Verdacht auf ADHS unbedingt notwendige »Psycho-Edukation«!
Nachstehend beleuchten wir also zum besseren Verständnis und eventueller Eingrenzung die augenscheinlichsten Einzelsymptome von ADHS und möchten hierbei einen überaus wichtigen Blickwinkel vorausschicken:
Das Auftreten eines oder auch mehrerer der nachfolgend genannten Einzelsymptome deutet noch nicht auf das Vorhandensein eines ADHS hin.
Ein begründeter Verdacht auf ADHS besteht erst dann, wenn ein Cluster von mindestens 10-15 dieser Verhaltensbesonderheiten als »abnorm erhöht« bezeichnet werden können und vor allem permanent gemeinsam auftreten.
Defizite (Einzelsymptome)
- deutliche Hyperaktivität bzw. über das durchschnittliche Maß unruhig, nervös (siehe hier)
- im Rede- und Bewegungsdrang nicht zu bremsen, weshalb das Kind auffällig oft ungefragt herausruft
- über längere Zeiträume spürbar ruhelos und wie »von innen heraus getrieben« wirkend (siehe hier)
- verminderte Aufmerksamkeitsspanne, stark auffällige Ablenkbarkeit (siehe hier)
- bedingt durch die Störung der Impulskontrolle besteht eine abnorm hohe Risikobereitschaft (siehe hier)
- bedingt durch die Störung der Impulskontrolle lassen sich auch auffallend viele Unfälle beobachten
- bedingt durch die Störung der Impulskontrolle lassen sich »unpassend spontane« und unreflektierte Handlungen beobachten
- bedingt durch die Störung der Impulskontrolle besteht zuletzt eine Übererregbarkeit bzw. verminderte Stress- und Frustrationstoleranz
- auffällige Vergesslichkeit, man wirkt sehr oft zerstreut; das betroffene Kind, aber auch betroffene Erwachsene verlegen und vergessen mehrmals am Tag ihre persönlichen Gegenstände, auch wenn diese überaus wichtig (wertvoll) sind
- Probleme beim Abschließen von Aufgaben, sogar bei schon begonnenen Handgriffen oder Handlungsabläufen (der Handlungsstrang schwenkt innerhalb eines Augenblickes komplett ab)
- Verhaltensprobleme in der Schule wie übermäßiges Schwatzen in der Klasse sowie zuweilen eine
- Unfähigkeit, sich auf die sozialen Bedürfnisse anderer einzulassen und darauf adäquat und wertschätzend zu reagieren (dissoziales Verhalten)
- gleichzeitiges „am Laufen haben“ von verschiedensten, unfertigen Projekten! (vieles liegt angefangen herum, wird oft niemals fertig gestellt)
- stark erhöhte, oft durch Kleinigkeiten motivierte Neigung zu Streitereien, Trotzverhalten und Wutausbrüchen
- signifikant erhöhte Prokrastination (Aufschieberitis; siehe hier)
- dichotomes Bewertungsbild („…wenn du nicht für mich bist, dann bist du automatisch gegen mich, …dann hasst du mich!“)
Die Standardfragebögen nach den international gültigen Kriterien berücksichtigen ebendiese zuvor aufgelisteten Einzelsymptome und teilen diese danach auch noch in Schweregrade ein, wonach sich ein Gesamtbild und eine Bewertung der ADHS-Wahrscheinlichkeit ergibt.
Doch wo Schatten ist, da ist gewöhnlich auch Licht! Das ist bei ADHS keinesfalls anders. Ganz im Gegenteil: Schon aufgrund der Komplexität des Symptomclusters ergeben sich aus den Defiziten zumeist folgerichtig erklärbar auch signifikante Vorteile und Potentiale, die Sie kennen lernen können.
Lebenskunst ist nicht dies oder das zu sein, sondern man selbst zu sein.
Soren Kirkegaard