Verhaltenspädagogische Tipps und Tools
Einlassen, zuhören
Im täglichen schulischen Kontext kann uns als Lehrer im Umgang mit ADHS-betroffenen Kindern eine erweiterte Fähigkeit des Hineinversetzens in die Lage des Kindes nur nützlich sein. Versuchen wir also beispielsweise nachfolgend angeführte »neue Blickwinkeln« einzunehmen, sobald sich das eine oder andere ohnehin verhaltensoriginelle Kind wieder einmal »unmöglich verhält«:
»Wenn ich in der Lage meines Kindes wäre, oder an seiner Stelle stünde, würde ich genauso handeln?«
»In derselben Umgebung /Situation würde ich vielleicht die gleichen Fehler begehen, mir dasselbe Ziel setzen?«
»Wenn ich mich mit dem Kind jetzt genau in seiner momentanen Situation einig oder »verbunden« fühlen kann, dann verstehe ich es sicherlich besser!«
»Wenn ich dieses Verständnis nicht aufbringen kann, dann sind vermutlich alle andersartigen Bemühungen (pädagogischen Interventionen) vergeblich und wahrscheinlich unbrauchbar!«
Ohne Einfühlung, ohne Identifizierung mit dem Kind ist jede Bemühung um gute Erziehung und Lösung verschiedenster Problemkreise rund um das multifaktorielle Störungsbild ADHS sinnlos!
Beobachten, Herauslesen
Sicher denken Kinder mit ADHS noch tiefer gehend handlungsorientiert als andere! Das heißt, sie reagieren auf den momentanen Input ihrer Bezugsperson konsequenter als andere mit »Handlungen«, wie zum Beispiel der kindlich-genialen Überlebensstrategie: »Abwehr«! Sie werden beispielsweise gefühlten Konflikten oder Konfrontationen sicherlich kaum mit Argumenten begegnen! Interpretiert man diese Handlungen richtig, kann man vielleicht auch ablesen, wie es dem Kinde gerade geht. Auch was man »falsch« gemacht haben könnte!
Kinder sollten Bücher sein, in denen wir lesen können, in die wir aber auch etwas schreiben können.
Peter Rosegger
Dabei sollte man wissen: Ein Kind tut von sich aus nur das, was es GERNE tut und was ihm LEICHT fällt!
Verstehen, verzeihen
Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles verstehen.
Marie Curie
Marie Curie mag vielleicht damals bloß die unbekannten Gefahren und Kräfte der Natur gemeint haben. Dennoch trifft jedes Wort wohl ganz genauso für alle anderen Stolpersteine des Lebens, wie auch des erzieherischen Alltags zu.
Dazu sollten wir zuvor ein Zitat von Bruno Bettelheim bemühen. Es sagt uns genau, wie ADHS-Kinder empfinden (eigentlich alle Kinder, ADHS-betroffene jedoch wahrscheinlich um einiges sensibler):
Kinder empfinden ihre Umgebung mit ihren feinen Seismographen.
Bruno Bettelheim
Mit ziemlicher Sicherheit können wir annehmen, dass Kinder mit ADHS viel sensibler auf ein Fehlverhalten von Erwachsenen einschwenken.
Positive erzieherische Zugänge
Sicher ist es besonders für Pädagogen in der schulischen Arbeit gut nachvollziehbar, dass so manche Intervention besonders bei hypersensiblen Kindern erst dann Ziel führend ist, wenn sie möglichst viele positive Elemente enthält.
Versuchen wir doch bei Kindern nicht das Negative auszutreiben, sondern das Positive zu fördern.
Celestin Freinet
Versuchen Sie deshalb besonders bei verhaltensoriginellen Kindern in manch einer ihrer »auffälligen« Handlungen wenigstens ein positives Element zu finden, und dieses für ihre pädagogischen Interaktionen bzw. sogar ihre Interventionen einzusetzen.
Ein Fallbeispiel mag dies verdeutlichen.
Fallbeispiel: »Tobermann«
Der mit ADHS diagnostizierte elfjährige Jakob fällt schon länger durch seine oft markant ausgeprägten Wutanfälle auf. Bislang hat seine Klassenlehrerin immer beruhigend auf das Kind eingeredet oder gefragt, was denn gerade mit ihm los sei. Der Erfolg dieser Intervention war aber fast jedes Mal gleich null. Im Gegenteil: Jakob hat zumeist mit noch mehr Wut und oft auf den Schultisch trommelnden Fäusten reagiert.
Gerade jetzt trommelt Jakob erneut sein ewiges Lied des wütenden Buben auf die Fläche seiner Schulbank, die er ohnehin alleine sitzend benützen darf. Nach einer Sitzung mit einem Verhaltenspädagogen und einer kleinen »Portion« Psycho-Edukation verhält sich die Lehrerin, Frau Haller, heute völlig anders:
Ganz ruhig wartet sie einen Moment ab, in dem der ebenso quirlige wie schmächtige Bob in seinem Tobsuchtsanfall innezuhalten scheint. Sie lässt sich gefühlsmäßig auf ihn ein und erhöht so ihre Empfindsamkeit bezüglich der momentanen Intensität seines Ausbruchs. Frau Haller wird für ihre Geduld und ihre heute erhöhte Empathie nach nur kurzer Zeit belohnt: Jakobs Ausbruch flaut ab. In genau diesem Moment setzt Frau Haller mit positiver Steuerung ein: »Hey, Jakob! Du kannst dich ja ganz alleine beruhigen, und das auch noch nach so kurzer Zeit! Das hätte ich gar nicht erwartet und finde es toll!« Als Frau Haller das erstaunte und offenbar gar nicht mehr zornige Gesicht des Kindes wahrnimmt, »legt« sie noch ein winziges Schäufelchen »positive Steuerung« nach:
»Du, Jakob? Kommst du jetzt so weit alleine zurecht?«, fragt sie milde lächelnd. Nunmehr völlig von seiner zuvor noch aufflammenden Wut befreit, antwortet der Bub erstaunt, aber sichtlich zufrieden: »Ja! Mir geht es gut!«
Diese letzte Schaufel voll positiver Steuerung ist sicher leicht nachvollziehbar: Frau Haller hat dem Buben unmittelbar nach ihrem Lob einfach ein wenig Eigenkompetenz erteilt: »Du schaffst das sicher ab jetzt alleine…!«
Ebenso in Richtung Eigenkompetenz geht unser nächster Ansatz, das…
»Coaching« - Modell:
Das Coaching-Modell ist eine Methode, die es jedem sicherlich hypersensiblen ADHS-betroffenen Kind ermöglicht, in entspanntem Setting eine eigene Lösung für ein möglicherweise auch selbst verursachtes Problem zu finden.
Wer sich nicht selbst helfen will, dem ist nicht zu helfen.
Johann Heinrich Pestalozzi
Hilfe zur Selbsthilfe! Befragung statt Forderung! Diese Vorgehensweise könnte bei ADHS-betroffenen Kindern jedenfalls einen positiveren Effekt auf die ohnehin geschwächte Selbstwahrnehmung bzw. das ohnehin geschwächte Selbstwertgefühl haben.
Beispielhafte Formulierungen für ein Vorgehen nach den Prinzipien des »Coaching«:
»Was hast du denn für einen Vorschlag wegen dieser Unordnung in deinem Bankfach?«;
»Wie würdest du diesen Streit mit deinem Nachbarn denn heute lösen wollen?«;
»Ich freue mich darauf, wie du unser kleines Problem mit dem Übungsheft lösen wirst!«
Wichtig für den Erfolg dieser Erteilung von Eigenkompetenz ist, dass das Kind das Gefühl bekommt, seine Vorschläge werden nicht nur gerne angehört, sondern, sofern sie durchführbar sind, auch ernst genommen!
Anerkennung oder „Zauberworte“:
Anerkennung ist das Lebenselixier eines ADHS-Kindes! (Genau genommen eigentlich aller Kinder, jedoch sicherlich ungleich bedeutsamer für solche mit ADHS)
Dieser sicherlich unbestreitbare Fakt erklärt sich durch die bei ADHS-Betroffenen erwiesenermaßen geschwächte Selbstwahrnehmung!
Besonders wirksam gegen die geschwächte Selbstwahrnehmung ist demnach das so genannte »Voraus-Lob«:
Beispielhafte Formulierungen für ein Vorgehen nach den Prinzipien des »Voraus-Lobens«:
»Ich bin immer sehr stolz auf dich, wenn du dein Heft als erster vorzeigst!«
»…wenn du deinen Tisch vor der Stunde besonders schön hergerichtet hast!«;
»Auf dich kann man sich voll verlassen!«;
»Ich freue mich schon, wenn ich nachher dein Fach anschauen darf...!«;
»Ich weiß, dass du dich heute beim Mitschreiben angestrengt hast, ich brauche es gar nicht zu kontrollieren!«
Bei dieser Methodik der positiven Steuerung ist lediglich darauf zu achten, dass die Formulierungen und der Zugang zu den jeweiligen betroffenen Schülern authentisch, also keinesfalls aufgesetzt oder gar mühevoll vorgebracht wirken.
Wenn du zum Kinde gehst, dann sei wahrhaftig.
Johann-H Pestalozzi.
Strafen oder logische Folgen?
Wegen des zumeist signifikant erhöhten Gerechtigkeitsgefühles von ADHS-Betroffenen ist ganz besonders auf das Eliminieren von unlogischer Bestrafung zu achten! (Strafen, die nicht mit dem Fehlverhalten korrelieren)
Stattdessen: Logische, klare Folgen setzen! Das Wort »Strafe« ist generell zu überdenken, da sich Strafe in jedem Fall gegen die Person richtet, und nicht gegen das Fehlverhalten.
Angst vor Strafe bewahrt uns zwar davor das Unrechte zu tun, veranlasst uns aber noch lange nicht das Rechte zu tun.
Alfred Adler